Diktatoren
Sie führen die Gesetze aus nach Lust und fälschen die Grammatik.
Sie sind es gewohnt, den Singular im Plural zu gebrauchen.
Das Objekt gerät ihnen zum Subjekt.
In der Jugend sehnten sie sich nach dem Futur,
im Alter sind sie versessen auf die Vergangenheitsform.
Keine Notwendigkeit für eine Übersetzung,
sie
lehnen einen Wechsel ab.
Fest
steht
der Satzbau,
fest
steht
der Satzbau,
fest steht
der Satzbau.
Das einzig transitive Verb lautet niederhalten.
(1989)
Übersetzung:
Wolfgang Kubin
¡@
¡@
¡@
Ein Erinnerungsphoto: Das Standbild der Bunong
Ich weiß
nicht,
ob Rodin,
als er „Die Bürger von Calais¡§ schuf,
sie
im
Auge
harte und von ihnen sich zu erheben verlangt hätte. Neun
Anhänger
des Stammes der Bunong, neun hartköpfige Steine, in Reih
und Glied vor dem Polizeirevier.
In Eisen gekettet an Händen und Beinen, nicht an ihrer
Seele.
Wenn die große
Axt fällt und ihre Köpfe zu Boden fallen, wird
ein jeder
zu einem anderen Stein. Ihr Rumpf wird immer noch ein
Standbild sein.
Aufrecht auf eigenem Boden. Jetzt
sitzen sie da und
erwarten
das Urteil, erwarten die Hand der Machthaber, die sie
unsterblich formt:
Lamata Xianxian vom Clan der Yikanuo und seine vier
Söhne,
Taluomu vom Clan der Kengtou und seine drei Brüder. (Selbst
seine Mutter
hatte er erschlagen, die ihm unter japanischem Druck zur
Aufgabe riet.)
Ihre Augen schauen nach vorn, in ihre Gesichter ist
geschnitten bei ungleicher Aussprache
das Wort
der Bunong
für
„Würdig¡§:
Würdige Trauer,
würdige
Apathie, würdige
Freiheit
...
Sie sind Steine, vom
Himmel gegeben.
Der Dichter
führt ein
Foto von neun Gefangenen an. Diese, Ureinwohner von
Taiwan, hatten am 19. September 1932
in der Präfektur Taidong drei Polizisten
der japanischen Besatzungsmacht
(1895-1945) getötet und waren
ergriffen worden.
(1993)
Übersetzung:
Wolfgang Kubin
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¡@
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Regenzeit
Soldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldat
Soldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldat
Soldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldat
Soldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldat
Soldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldatsoldat
Soldatsoldatsoldatsoldatpengsoldatsoldatsoldatsoldatping
Pengpengpengpingpengpengpengpingpengpengpengping
Pingpengpengpingpengpengpingpengpengpingpengpeng
Pingpingpengpingpingpingpengpingpingpingpengping
Pengping
pengping
pingpeng
pingpeng
peng ping peng
Peng
ping
ping
peng
Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab
Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab
Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab
Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab
Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab Hügel Grab
(1995)
Übersetzung:
Wolfgang Kubin
Der Dichter
merkt zu dem Spiel mit dem chinesischen Schriftzeichen
bing
(§L
, Soldat) an: Nimmt man einen Strich,
ob links oder rechts, vom unterenTeil des Zeichens weg,
erhält man die Zeichen ping (¥â)
bzw.
pang
(¥ã).
Beide stehen lautmalerisch für einen Gewehrschuss.
Isoliert man den oberen Bestandteil des Zeichens für
Soldat,
so liest man das Zeichen für Hügel (qiu:
¥C).
¡@
D. Ü.: Pingpang ist im Sinne von Pingpong
auch Tischtennis. Ebenso ist qiu
ist als Sandhügel bzw. Grab in den Hügeln mehrdeutig.
Das graphisch gestaltete Gedicht, das seriell 16 Verse
mit 25 Schriftzeichen enhält, wurde auf jeweils fünf
Verse gekürzt.
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Eine Krieg-Symphonie
¾Ôª§¥æÅT¦±
¡ôAnimation des Gedichts und Rezitation
(1995)
¡@
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¡@
¡@
Am Rande einer Insel
¡@
Auf einer Weltkarte
im
Maßstab
1:40000
ist unsere Insel
ein unvollkommener gelber Knopf,
lose auf blauer
Uniform.
Meine Existenz
ist
nun ein durchsichtiger Faden.
Dünner als ein Spinnennetz geht er durch mein
Fenster mit Meeresblick,
um mit aller Macht die Insel un
die
See
zusammen zu nähen.
Am Rande einsamer Jahre,
in
der Falte, da sich
neue Jahre, alte Jahre ablösen,
kommt mein Gemüt einem
Album mit
Spiegeln
nahe,
kalt ist es erstarrt in den Wellen der Zeit.
Durchblättert
man das Album,
erblickt
man Seite für
Seite
verschwommene Vergangenheiten, die hell
aufblitzen
in den Spiegeln.
Ein anderer geheimer Knopf
ist dir wie ein unsichtbares Tonbandgerät an die Brust geheftet.
Deine und der Menschheit Erinnerung
wird immer wieder aufgezeichnet und abgespielt,
ein Tonband mit Liebe und Hass, Traum und Wirklichkeit,
Kummer und Leid.
Was du jetzt hörst, ist die
Stimme der Welt,
das Herzklopfen von dir, von allen Toten
und Lebenden.
Wenn du mit dem Herzen rufst,
werden alle Toten und Lebenden deutlich
mit dir zu sprechen beginnen.
Am Rande der Insel, zwischen
Schlaf
und Wachsein,
fasst meine Hand meine Exitenz
wie eine
Nadel,
die durch einen gelben Knopf
fährt,
von den
Inselbewohnern blank
gerieben, sie
sticht mit aller Macht
ins Herz
der Erde
hinter der blauen Uniform.
(1993)
Übersetzung: Wolfgang Kubin
¡@
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¡@
¡@
Einzeln wie ein Stottern
Der, der, der
Das zieht sich an wie
Staub
Wasser
Das ihn bindet
Feuer
Das ihn brennt
Was fließt, wird Form
Was stirbt, entsteht
Die Erde, alles in allem
(1989)
Übersetzung:
Peter Hoffmann, Jürgen Ritter und Vera Schick
¡@
¡@
¡@
Sie hört uns weinen
Sie hört uns flüstern
Sie hört wie wir an den Tapeten kratzen
Angstvoll suchen nac Verlorenem
Ein Atmen, Schnarchen, Husten
Das riesig wird und so noch nie gehört
Die Wand, sie ist ein Ohr
Die Wand führt stummes Protokoll
Dem Nagel
Fehlt der Mantel, Schlüssel, Hut
Im Riß
Verzahnt sind Liebe, Tratsch und Streit
Da hängt die Uhr
Da hängt der Spiegel
Da hängt verlorener Tage Schatten
Abdruck von geträumtem Kuß
Von uns das Maß
Die Schwere
Und das Schweigen
Die Wand, sie ist ein Ohr
Riesig vor der Ohnmacht unseres Daseins
(1990)
Übersetzung:
Peter Hoffmann, Jürgen Ritter und Vera Schick
¡@
¡@
¡@
¡@
nachts wurde ich Fisch
ich habe nichts mehr und bin plötzlich reich und frei
amphibisch
Nihilismus? ja
so nihilistisch wie das grenzenlose All
ich schwimme durch eine Nacht
noch feuchter und dunkler als deine Vagina
bin überall zuhause
ja, das All ist meine Stadt
gleich wo ich hinunterschaue
von welchem städtischen Schwimmbad auch immer
ist Europa bloss
ein verschrumpelter Klumpen Schweinefleisch
Asien gleicht
einer kaputten Teeschale neben einem stinkenden Kanal
voll von eurer leeren
süssen Zuneigung sei sie
füllt sie mit dem abgekochten Wasser eurer Ethik und
Moral
füllt sie mit eurem Badewasser, das alle zwei Tage
erneuert wird
ich bin ein Habenichts und auch ein Fürchtenichts
als amphibisches Wesen
niste ich im endlosen Raum
niste in deinen täglichen nächtlichen Träumen
Wind und Regen trotzend bade ich mich
lässig schwimm ich über deinen Himmel
schwimme durch alle deine Existenzen
denen du nicht entrinnst
rühmst du dich noch immer deiner Freiheit?
komm, versetze dich in diesen Fisch
diesen Raum-Fisch, der plötzlich reich ist und frei
weil du ihn verlassen hast
(1994)
Übersetzung:
Rupprecht Mayer
¡@
¡@
¡@
Ich hab ein Stück meiner Zunge in ihr Federkästchen
getan. Jedesmal, wenn sie es aufmacht, um ihrem neuen
Geliebten
zu schreiben, hört sie mein Gestammel, das einer Reihe krakeliger
Schriftzeichen gleicht und von Komma zu Komma
dem Kratzen ihres frisch gespitzten Stiftes folgt. Sie
hält inne. Sie weiß nicht, dass es meine Stimme ist, sie
meint, dass
ich für immer verstummt sei nach den Worten, die bei
unserem letzten Treffen an ihr Ort gedrungen sind. Sie
schreibt
noch eine Zeile und entdeckt dann, dass ihr das
Schriftzeichen
·R
(ai, „Liebe¡§), mit seinen vielen Strichen nicht
schön
geraten ist. Sie greift sich meine Zunge, die sie für
einen Radiergummi hält, und radiert und radiert voller
Kraft auf
dem Papier herum, bis ein Blutfleck auf der Stelle
zurückbleibt, wo vorher das Zeichen
·R
war.
(2000)
Übersetzung:
Rupprecht Mayer
¡@
¡@
¡@
¡@
Der jüngste, der das Gymnasium geschmissen hat und sich
seither herumtreibt, ist das schwarze Schaf unter uns
drei
Brüdern, obwohl er ein grünes Drachen-Tattoo auf dem
Schenkel hat, und sein Herz so weich ist wie das seiner
Mutter.
Mutter fährt ihr Leben lang mit dem Rad zur Arbeit und
zahlt ihr Leben lang seine Schulden ab. Sie hofft immer
noch,
ihr Jüngster möge auf den rechten Weg zurückfinden.
Mehrere Motorräder hat sie ihm schon gekauft. Auch
Autos, und
sie sind alle verschwunden. Nun hat sie erneut hinter
meinem Rücken Kredit aufgenommen, um ihm einen Wagen zu
kaufen.
Der Wagen ist weiß, weiß wie Morgennebel im Winter. An
jenem Morgen kam ich wieder in die Shanghai-Straße
und sah, wie sie sich mit einem Putzlappen an das
geparkte Auto heranschlich und es sanft und kraftvoll
polierte, als
wolle sie ein schwarzes Schaf weiß reiben. Rieb und rieb.
Sie wusste, dass das weiße Auto bald von der
Bildfläche
verschwinden würde, und musste dem schwarzen Schaf ein
weißes Fell nähen, bevor es erwachte.
(1996)
Übersetzung:
Rupprecht Mayer
¡@
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¡@
¡@
53 Dreizeilengedichte
1
im Mondlicht, das
zwischen zwei Hochhäuser sickert
spült er die Fernbedienung
¥L¨ê¬~¥Lªº»»±±¾¹
¥Î¨â´É¤j¼Ó¤§¶¡
º¯³z¥Xªº¤ë¥ú
2
schnelles Abwärts-Glissando:
jemand hat am Fenster meiner Kindheit
eine Leiter angelegt
§Ö³t¦Ó¤U¦æªº·Æ«µ¡G
¦³¤H¦b§Úµ£¦~ªºµ¡¤f
©ñ¤F¤@§â±è¤l
3
was soll ich sonst sagen zu dem Schmetterling
der sich auf einem Baugerüst in der Innenstadt
niedergelassen hat
ausser: ah, ah
¹ï©ó¾n¨¬¦b¾x°Ï¤u¦aÆN¬[¤Wªº
½¹½º¡A§Ú¯à»¡¤°»ò¡H
°£¤F°Ú¡B°Ú¡K¡K
4
der Fernseher lud mich zu sich hinein
da entdecke ich auf meinem verlassenen Sessel
einen blattlosen metallenen Baum
¥¦ÁܽЧڶi¤J¹qµø¾÷
¦b§ÚÂ÷¶}ªº®y¦ì¤W
§Úµo²{¤@´Ê¨S¦³¸¤lªºª÷Äݾð
5
ein Hubschrauber kreist um die Dämmerung:
oft greifen wir nach der Stromleitung
und warten darauf, die Drachen unserer Jugend
zurückzuholen
¶µÛ¶À©ü±ÛÂ઺ª½¤É¾÷¡G
§Ú̱`±`§ìµÛ¤@±ø¹q½u
µ¥Ô©Ô¦^«C¬Kªº·ºå
6
sie hebt die blaue Haut des Wassers an
und zeigt uns, verborgen im Schatten des Meers
die Wachstränen, die wir verloren
¦o±È°_ÂŦ⪺¤ôªº¦Ù½§
Åý§Ú̬ݨ£¡AÂæb®üªº³±¼v¸Ì
§ÚÌ¿ò¥¢ªºÀë²\
7
ich warte, ich sehn' mich nach dir:
ein Würfel im leeren Becher der Nacht
will seine siebte Seite zeigen
§Úµ¥Ô¡A§Ú´÷±æ§A¡G
¤@²É»ë¤l¦b©]ªºªÅ¸J¸Ì
¥ø¹ÏÂà¥X²Ä¤C±
8
das Leben des Menschen
flüchtig wie Morgentau
und dennoch: nichts gegen die Sonne
´ÂÅSªº¤H¥Í¡A´ÂÅSªº
¤H¥Í¡AµM¦Ó¡AµM¦Ó
¨º·ÓµÛªº¶§¥ú¬O¦nªº¡K¡K
9
Bartok, Balzac,
immer wieder hämmern Rachen und Zunge
diese einfache kraftvolle geheime Depesche
¤Úº¸¦«§J¡A¤Úº¸¤ã§J¡G
§Ú¤ÏÂХγï¦ÞºV¥X
³o´XÓ²µu¦³¤Oªº¯µ±K¹q¤å
10
Grossereignis eines öden Wintertags:
ein Klümpchen Ohrenschmalz
landet am Schreibtisch
±I¹é¥V¤é¸Ìªº«¤j
¨Æ¥ó¡G¤@¶ô¦Õ«Ë
±¼¸¨¦b®Ñ®à¤W
11
wie Eis am Stiel, das aus den Mundwinkeln eines
Traums geschmolzene
Lächeln einer Sommernacht
¦B´Î¯ë¡A¦Û¹Úªº¼L¨¤
·»¤Æ¶}¨Óªº
®L©]ªº·L¯º
12
Tränen sind Perlen, nein, Tränen sind
Silbermünzen, nein, Tränen sind
abgefallene Knöpfe, von neuem anzunähen
²´²\¹³¬Ã¯]¡A¤£¡A²´²\¹³
»È¹ô¡A¤£¡A²´²\¹³
ÃP¸¨«áÁÙnÁ_¦^¥hªº¶s³§
13
wer sich die Medaillen des Sommers und Herbstes verdient
hat
kann sich im Alter nicht verweigern
dem Wintersportfest in Eis und Schnee und Staub
°tÀ¹®L»P¬îªº¼úµP
¦Ñ¦~¡AµLªk©Úµ´
¦B³·¹Ð¤gªº¥V©u¹B°Ê·|
14
ein kleiner Wasserfall hängt am Berghang
schmal und leise
ein kleiner Wasserfall erfrischte eine ganze Nacht
¤@±ø¤pÂr¥¬Äa±¾¦b¤s¸y³B
¤ô²ÓÁn¤p
¤@±ø¤pÂr¥¬²M²D¤F¾ãÓ©]±ß
15
der flugbereite Strommast könnte
zum Räucherstäbchen werden
bei Kurzschluss
·Q¸ªº¹q½u±ì¦³¥i¯à¦¨¬°
¤@¬W»¡A¦pªG
¹q½u¨«¤õ
16
Liebeslogistik: Augenampeln
Zebrastreifenherzen, im Brandfall
Eifersuchtslöschfahrzeugschaos
·R±¡¹B¿é¾Ç¡G²´·úªº¬õºñ¿O
¤ßªº´³°¨½u¡A¦]¥¢¤õ¦Ó
¥æ³q¤j¶Ãªº¶ú§ªªº®ø¨¾¨®
17
eine Formation, die dem Tod salutiert:
spazierende Schuhe, arbeitende Schuhe, schlafende
Schuhe, tanzende Schuhe
¦V¦º¤`P·qªº¤À¦C¦¡¡G
´²¨Bªº¾c¤l¤u§@ªº¾c¤lºÎ¯vªº
¾c¤l»RÁЪº¾c¤l¡K¡K
18
in stahlkalter Nacht
der Beat kollidierender Leiber
Funken schlagend für ein Feuer
´H§N¦pÅKªº©]¸Ì
¤¬¬Û¼²À»¡B¨ú¤õªº
¦×Å骺ºV¥´¼Ö
19
ein Handschuh gibt einem Handschuh die Hand
drinnen, käsegleich
immer undeutlicher unsere gedrückten Gesichter
¤â®M©M¤â®M´¤¤â
¦b¸Ì±¡A¨Å¹T¯ë
·UÀ½·U¼Ò½kªº§Ú̪ºÁy
20
alles Leid einer Nacht
wird tagsüber zu goldenen Ähren, erwartend
die nächste leidvolle Nacht, die sie erntet
©Ò¦³©]±ßªº¼~¶Ë³£n¦b¥Õ¤é
Âনª÷¶Àªº½_ÁJ¡Aµ¥Ô
¥t¤@Ó¼~¶Ëªº©]±ß¦¬³Î
21
im grossen Labyrinth dieser chaotischen Welt
ist das einzige, was vielleicht vor dem Irregehen
schützt
die kleine Landkarte deines Körpers
¦b¥¨¤j²V¶Ãªº¥@¬É°g®c
°ß¤@¾ÌÂǤ£¦Ü©ó¨«¥¢ªº¡A¤]³\¬O
§Aµ¹ªº¤p¤pªº¦×Å骺¦a¹Ï
22
Gras oder Rost? was läuft schneller?
fragt einer mich nach dem Frühlingsregen
beim alten Gleis
¡u¯ó©MÅKù×½Ö¶]±o§ó§Ö¡H¡v
¬K«B«á¡A¼o±óªºÅK¹D®Ç
¦³¤H°Ý§Ú
23
nachdem er wieder und wieder den Weltrekord brach
stösst unser einsamer Kugelstosser
mit Wucht seinen Kopf weit weg
¦b¤£Â_¥´¯}¥@¬É°O¿ý¤§«á
§ÚÌ©t±Iªº¹]²y¿ï¤â¡A¤@Á|
§â¦Û¤vªºÀYÂY¥X¥h
24
das Weiss der Haut macht ein Muttermal
zur Insel: ich sehne mich nach dem weiten Wellenglanz
des Meeres unter deinem Kleid
¤@Áûµi¦]¦×Å骺¥Õ
¦¨¬°¤@®y®q¡G§Ú·Q©À
§A¦çªA¸Ìªi¥ú¸U³¼ªº®ü
25
immer wieder schneidendes Gelächter
zehntausendfachen Schmerz will sie mit Kaiserschnitt
gebären
keine Verrückte, dramatischer Sopran
¦o¤£¬OºÆ°ü¡F¦o¬O
¤@¦¸¦¸¥ø¹Ï¥Î¾U§Qªº¯ºÁn帡
¥Í¥X¤d¤d¸UµhWªºÀ¸¼@¤k°ªµ
26
Sandalen zu jeder Jahreszeit: siehst du's
von meinen Füssen geschrieben, wandernd über die Tafel,
den Staub
das freie Gedicht?
²D¾c¨«¥|©u¡G§A¬Ý¨ì¡X¡X
½ñ¹L¶ÂªO¡B¦Ç¹Ð¡A§Úªº¨â°¦¸}
¼gªº¦Û¥Ñ¸Ö¶Ü¡H
27
ich bin ein Mensch
Einwegfeuerzeug
in einer dunklen Welt
§Ú¬O¤H
§Ú¬O«Õ·t¤Ñ¦a¤¤
¥Î§¹§Y¥á±óªº¤@²É¥´¤õ¾÷
28
ungestüme Liebe schlug frohe Wunden
ich hab fünf Schachteln Grapefruitschweiss vergossen
bei dir sind einundzwanzig Haare entzwei
¿E¯Pªº·R±a¨Óªº´r§Öªº¶Ë¤`¡G
§Ú¬y¥¢¤F¤½c¸²µå¬cªº¦½¥Ä
§A§éÂ_¤F¤G¤Q¤@®ÚÀY¾v
29
ich mag die Einkaufstüten, die du dagelassen hast
ich packe neue Haikus hinein, Zitronenkuchen
und Bergstimmungen nach dem Regen
§Ú³ßÅw§A¯d¤U¨ÓªºÁʪ«³U¡G
§Ú¥Î¥¦¸Ë·s¼g¦nªºÖ¥y¡AÂfÂc»æ
«B«á¤s¦â
30
ein hartgesottenes Weichtier
wohnt in der Hose, geht oft aus dem Haus zum
Demonstrieren:
aufgeblasene, hochfahrende Nacktschnecke du
¦ºµw¬£ªº³nÅé°Êª«¡G
±H©~¦b¿ÇÃ˸̡A¤£®É¥X¨Ó¥Ü«Â
³x±jªº¤@°¦µL´ß½½¤û
31
Ehe-Saga: die Einsamkeit eines Schranks plus
die Einsamkeit eines Schranks ergibt
die Einsamkeit eines Schranks.
±B«Ãª«»y¡G¤@Ó¦çÂdªº±I¹æ¥[
¤@Ó¦çÂdªº±I¹æµ¥©ó
¤@Ó¦çÂdªº±I¹æ
32
Rondo, mal forte, mal piano:
Wasserklosetts einer imaginären Republik spielen
ihre verschwommene Nationalhymne
©¿±j©¿®zªº°j±Û¦±¡G
µêµL¦@©M°êªº©â¤ô°¨±í¤S¦bºt«µ
¥¦Ì§t½k¤£²Mªº°êºq¡K¡K
33
Wettsingen:
die null Jahre alten alten Zikaden
bringen den null Jahre alten jungen Zikaden "Happy
birthday"
bei
ª§»ï¡G
¢Ý·³ªº¦ÑÂͱТݷ³ªº
¥®ÂÍ°Û¡u¥Í¤é§Ö¼Ö¡v
34
zwei Bücher als Kopfkissen, so schlafe ich in schwüler
Nacht am Boden
die Knie gekrümmt, die Beine angeln nach Versen
ich bin es selbst, das erste Haiku des Sommers
¥H¨â¥»®Ñ¬°ªE¡AÞP©]®u¦a
¦Óª×¡A©}»L·n½¥³V¥yªº
§Ú¡A¬O¤J®L²Ä¤@ºÖ¥y
35
dieser Zug hat Betriebsstörung: wir hängen völlig in der
Luft
zwischen fettleibigen Wolken und
Tagträumen, zu denen die Leitern zerbrochen sind
¦C¨®¬G»Ù¡G§ÚÌÄaÌX¦b
ªÎDªÎDªº¶³¦·
©MÂ_¤F±èªº¥Õ¤é¹Ú¤§¶¡
36
die Reihe bewegungsloser Löschfahrzeuge vor sich
sitzt einer unbeachtet im Teehaus
vis-a-vis der Feuerwehr, innerlich brennend
¤@±ÆÀR¤îªº®ø¨¾¨®¦b¥L²´«e
µL¤H²z·|§¤¦b®ø¨¾¶¤«e±
¯ùçE¸Ì¡A¨º¤H¤ß¤¤ªº¤j¤õ
37
ein Würfel im leeren Becher der Nacht
zeigt seine siebte Seite:
Gott, es gibt dich
¤@²É»ë¤l¦b©]ªºªÅ¸J¸Ì
Âà¥X²Ä¤C±¡G
¯«°Ú¡A§A©~µM¦b
38
in einem von jungen Leuten frequentierten Teehaus
entdecke ich meine Mutter
ich kann es nicht glauben und sehe sie unverwandt an,
mein Freund sitzt
mir gegenüber und fragt: nach was für 'ner Puppe guckst
du?
¦b¦~»´¤H±`¥hªº¯ùçE¹J¨£§Úªº¥À¿Ë
§Ú¤£´±¸m«H¦a¨nµÛ¦o¡C§¤¦b¹ï±ªº
¤Í¤H°Ý¡G§A¦b¬ÝþÓ¬ü¬Ü¡H
39
sie lauscht und lauscht am andern Ende der Leitung
chläft ein und lässt mich gefangen zurück
in den Drahtspulenschichten ihres Atems
¦o¦b¹q¸Ü¥t¤@ºÝÅ¥µÛÅ¥µÛ
ºÎµÛ¤F¡A¯d¤U§Ú¤@Ó¤H
²_³´¦b¦o¼h¼h©I§lªº½u°é¸Ì
40
wie geschickt die Bedienung doch aufträgt und abräumt
nur deinen klebrigen Blick bemerkt sie nicht
der nicht so leicht abzuwischen ist von ihren glatten
Armen
¨º¤k¨ÍºÝ½L²M®à¦h»´¥©
µ·²@¤£ª¾ÂH¦b¦o¥ú·Æ
Áu»H§A¥Ø¥ú¤§ªo¿°Ãø«ø
41
die Insel des Schildkrötenbergs ist eine Schildkröte,
sie wandert
langsam übers Meer, macht den Fahrgast zum Hasen,
schläfrig vom Blau
des Himmels und des Meeres hat er beim Aufwachen das
Rennen schon verloren
Àt¤s®q¬O¤@°¦Àt¡A®}´å©ó¨®µ¡¥~ªº®ü¤W¡AÅý
µ¡¤ºªº®ÈªÌ¦¨¬°Àt¨ßÁɶ]¸Ì§Ö±¶ªº¨ß¡A¦]²V²c
¤£²Mªº®ü¤Ñ¤§ÂÅ©ü©ü±ýºÎ¡A¿ô¨Ó¹ï¤â¤w¤£¨£
42
Liebesfreud: in der U-Bahn sagt das Handy
ich komme; Liebesleid:
der Anruf wird auf die Mailbox umgeleitet
·R¤§³ß¡G±¶¹B¨®¤W¡A¤â¾÷
»¡§Ú¨ì¤F¡F·R¤§´d¡G
±zªº¹q¸Ü±NÂà¤J»yµ«H½c
43
Astronomen haben den zehnten Planeten im Sonnensystem
gefunden
schreibt die Zeitung: endlich entdeckst du am Tisch,
weggerollt von fünf Äpfeln und
vier Nektarinen die bittere Birne, mein Geschenk
³ø¯È¤W»¡¤Ñ¤å¾Ç®a«Å¥¬µo²{¤Ó¶§¨t²Ä¤QÁû
¦æ¬P¡G§A²×©óª`·N¨ìÀ\®à¤W¤ÁûÄ«ªG¡A¥|Áû
¤ô»e®ç¥~¡Aºu±o»·»·ªº¨º¤@Áû§Ú°eªºW±ù
44
ich parke am Strassenrand, betrachte liegend den blauen
Himmel über meiner Nase, auf ihrer Spitze ein Insekt,
wie auf
einem Gipfel
für einen Moment ist mein Körper eine Bergkette meiner
Heimat
°±¨®¸ôÃä¡Aª×¬Ý»ó¥~²M¼áªºÂŤÑ
¤@°¦¤pÂΦb§Ú»ó¦y¡A§Ï©»¦b®p³»
¦¹»Ú¡A§ÚªºÂßÅé¬O®a¶mªº¤@¦C¤s
45
nach dem Aufstehen wandert kühles glibberiges Tofu Stück
für
Stück in den Mund, ein ganzes Zünglein nach dem anderen:
Liebesgeflüster, das nie verdirbt, ein Zungenkuss
±á°_¡A¤@¤ù¤ù¦B²Dªº¨§ªá¤J¤f
¦p¤@¦¸¦¸§¹¾ãªº¦ÞÀY¡G³o¬O
µ´¤£·|Åܽ誺ªá¨¥¥©»y¡A¦Þ§k
46
Tag um Tag - Fäden aus Salzkörnern zerrissener Netze
musikalische Fäden aus alten Wunden, Stich für
Stich, Stern um Stern vernäht zur heutigen Nacht
¤é¤é¡A±q¯}º®ºô©î¤UªºÆQ²É¤§½u
±q¶ˤf©î¤Uªºµ¼Ö¤§½u¡A¤@
°w¤@°w¡A¤@¬P¤@¬P¡K¡KÁ_¦¨¤µ©]
47
was ist das Grösste? das All? der Kaiser? Gott?
der Tod? BH-Schalen der Grösse G? Essen?
ich mach jetzt erst mal ein grosses Geschäft
½Ö³Ì¤j¡G¦t©z³Ì¤j¡H¬Ó«Ò³Ì¤j¡H¯«³Ì¤j¡H
¦º³Ì¤j¡H¢Õ¸nªM³Ì¤j¡H¦Y³Ì¤j¡H¡X¡X
§Ú¥ý¥h¤j«K
48
als die Götter die Menschenwelt passierten, da bekamen
sie Lust
ausgelassen zu tanzen; zu hoch ihre Stöckelschuhe
das Wüten des Erdbebens zu ihren Füssen konnten sie
nicht sehen
½Ñ¯«Ì¸ô¹L¤H¶¡ÀH¿³°_»R¨gÅw
¤Ó°ª¤F¡A¥L̪º°ª¸ò¾c
Åý¥L̬ݤ£¨£¸}¤U¦a¾_ªººG¯P
49
Mutter meinte an Neujahr essen wir draussen, mit meinem
Bruder
der nur für ein paar Tage kommt; wir assen draussen und
sahen
vor dem Fenster leuchtendes Gras und Wolken am Himmel
¥À¿Ë»¡¹L¦~¨ì¥~±¦Y¶º¡A¸ò¦^®a
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schiefe Metaphern, unethische
Ethik: der Gedichte
gütige Liebe
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gib dem Tod ein Zimmer mit Frühstück
in deiner Hosentasche, koste Neugier und Furcht aus
doch nur Probebetrieb, melde die Pension nicht an
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wir verstricken uns immer mehr in die Form des Gedichts
während die Welt sich immer chaotischer aufbaut, wie der
Turm von Babel
wir stützen durch Erfindung ein schiefes Buch
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ich möchte die Form meiner Gedichte verkleinern, kleiner
als eine Diskette, aber größer als die Welt, ein
Mikrokosmos, der kopiert werden kann, und ersetzt
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(1993)
Übersetzung:
Rupprecht Mayer
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Eindruck des Meeres
verwickelt immer in ein riesiges schamloses Bett
diese zügellose Frau den ganzen Tag
mit ihrem Vagabund
mit einer großen wasserblauen Decke mit weißen Spitzen
drängeln
hin
drängeln
her
(1974)
Übersetzung: Jörg Liu
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Geliebte
meine Geliebte ist eine Gitarre mit lockeren Saiten
in deren Gehäuse sich ihr nackter Körper mit glatter
Haut versteckt
der auch nicht durch das Mondlicht zu sehen ist
manchmal hole ich sie hervor
nehme sie in den Arm, leicht
streichle ich ihren kalten Hals und Rücken
die linke Hand spannt die Saiten, die rechte prüft den
Klang
so verfahre ich solange
bis sie eine richtige Gitarre mit sechs gespannten
Saiten ist
die darauf wartet
daß das Spiel beginnt, aber
plötzlich
brechen die
Saiten
(1974)
Übersetzung: Jörg Liu
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Winterreise
hören in der
Frühlingsnacht
¡Xgeschrieben
an Fischer-Diskau
Diese Welt ist alt,
ie trägt so schwer an Liebe wie auch an Nichtigkeit;
Auch der Löwe in Deinem Gesang ist alt geworden,
obwohl er es noch immer liebt, unter der Linde der
kindheit anzulehnen
und nicht gern einschlafen will.
Schlaf ist vielleicht gut, wenn
die vergangene Zeit wie Eis- und Schneeschichten
Trauer und Quälerei in der menschlichen Welt bedeckt;
es ist vielleicht gut, daß es im Schlaf Blumen gibt,
wenn das einsame Herz immer noch in der Ode das Grün
sucht.
Frühlingsblumen blühen in der Winternacht,
eiße Tränen sind auf dem Grund des Sees gefroren:
die Welt lehrt uns Hoffnungen, lehrt uns aber auch
Enttäuschungen;
Unser Leben ist ein dünnes Papier, das wir nur einmal
besitzen.
Es wird von weißem Rauhreif und Staub, Seufzen und
Schatten ausgefüllt.
Wir träumen auf einem Papier, das sehr leicht reißt;
obwohl es klein und dünn ist, erleichtern wir nicht das
Gewicht des Traums.
Wir pflanzen Bäume in weggewischten und wieder
weggewischten Träumen.
Doch wenn wir traurig sind,
kommen sie nebenbei zurück.
Winterreise
hören in der Frühlingsnacht,
Dein heiserer Gesang ist ein Traum des Traumes,
läßt mich mit Winter und Frühling reisen.
(1988)
Übersetzung: Jörg Liu
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Diktatur
Sie sind die Juristen, die willkürlich die Grammatik umschreiben:
Den Singular erheben sie zum Plural,
das Objekt beansprucht die Position des Subjekts.
Solange sie jung sind, sehnen sie sich nach der Zukunft,
solange sie alt sind, schwärmen sie von der
Vergangenheit.
Unnötig wird jede Übersetzung,
zurückgewiesen jede Veränderung.
Starre Satzmuster.
Starre Satzmuster.
Starre Satzmuster.
Das einzige transitive Verb: unterdrücken.
(1989)
Übersetzung:
Kristina Bier
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